Herausgegeben von Dieter Jaeschke. Mit einem Nachwort von Giovanni di Stefano.


ZUM GELEIT
von Dieter Jaeschke
Alessandro Chiodo, ein italienischer Bildender Künstler und Autor, der im westfälischen Münster lebt, versammelt in diesem Band eine Reihe von Gedichten und Zeichnungen. Beiden Ausdrucksformen ist gemein, dass Chiodo schon seit früher Jugend schreibt und malt. Nach dem Abitur in Carrara besuchte er die Staatlichen Kunstakademien in Carrara und Venedig, noch als Student veröffentlichte er erste Poesien und Prosatexte.
Wer die visuelle Kunst Chiodos kennt, der weiß, wie sehr er durch seine Heimat Ligurien geprägt ist. Die leuchtende, energievolle Farbenpracht dieses in Ponente und Levante geteilten schmalen Küstenstreifens findet sich in vielen der geheimnisvollen Frauengesichter wieder, die einen wichtigen Baustein von Chiodos Werk der letzten Jahre ausmachen. Und Ligurien erscheint ebenso in einigen der Gedichte, die Chiodo in deutscher Sprache verfasst hat. „Ligurien, stürmisch ist dein Gemüt, / in deinem wilden Gang erkenne ich / meinen Sinn und meine Eigenart“, bekennt der Autor in einer seiner Oden. „Von endlosen Küsten / meine Heimat ist umgeben“, heißt es in einer anderen – eine Heimat, die „unaufhörlichen Leben / ad infinitum“ verheiße.
In anderen Versen sinniert der Dichter über sein lyrisches Selbstverständnis oder begibt sich im „Wald der Gesichter“ auf die Suche nach Licht und Schatten. Als Fotograf hat Chiodo erst neulich eine umfangreiche Portraitserie von ganz unterschiedlichen Menschen aus dem Münsterland und dem Ruhrgebiet veröffentlicht – das gesamte Werk ist in Schwarz-Weiß erschienen. „Schwarz-Weiß“ ist denn auch der Titel eines weiteren Gedichts, in dem es um nichts weniger als einen Liebesschwur geht, den der Wind auf einem blauen Blatt heranträgt.
Besonders stark ist Chiodos Lyrik, wo er reine Emotionen in Versen verdichtet, wo er ganz auf gegenständliche Anspielungen zum Zeitgeschehen verzichtet und nur auf die Wirkung seiner Metaphorik setzt. „Dein Gesicht ist eine Flamme“, heißt es in einem schon etwas älteren Gedicht, „aus einer blauen Blume, / die das Leben umkreist“. Um im Bild des Malers zu bleiben: Das ist keine hingeworfene Skizze, hier hat Chiodo schon einen größeren lyrischen Pinsel geschwungen.
Was bei der Lektüre seiner bildreichen Zeilen in überaus klarer, leichter Sprache vielleicht schnell übersehen werden mag: Alessandro Chiodo lebt erst seit knapp zehn Jahren in Deutschland, er hat sich die deutsche Sprache im Selbststudium angeeignet. Auf dieser Basis eine sprachlich so reizvolle, so ansprechende Sammlung vorgelegt zu haben, ist die eigentlich große Leistung, die sich hinter diesem Band verbirgt. Und so strömen seine Worte, kraftvoll und frei, „wie der heiße Sand / am Strand von Monterosso“.
Dieter Jaeschke (geb. 1969 in Hattingen an der Ruhr) leitet das deutsche Auslandsschulbüro in Odessa und ist Koordinator für das Deutsche Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz (DSD) in der Süd-Ukraine. Er schreibt seit seinem 17. Lebensjahr für Tageszeitungen, lange Zeit für die Westdeutsche Allgemeine (WAZ), später für die Ruhr Nachrichten und auch den Reiseteil der Süddeutschen Zeitung. Während seiner Auslandsjahre in Mexiko und Rumänien veröffentlichte er bei Dotbooks in München das Reportagenbuch „Italienische Reisen“ (2014). Der Dortmunder hat Italianistik und Geschichte in Bochum und Florenz studiert und ist ausgebildeter Lehrer für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen. Der Beitrag über Procida, übersetzt von Elisa Occhipinti, ist als Bonuskapitel in einer Printsonderausgabe des eBooks erschienen.
EINE BRÜCKE ZWISCHEN VERTRAUTEM UND FREMDEN
Ein Beitrag von GIOVANNI DI STEFANO
Mit diesem Band von Gedichten überschreitet Alessandro Chiodo die Grenze der eigenen Muttersprache und wird, um ein schönes, schwer zu übersetzendes deutsches Wort zu gebrauchen, zum Grenzgänger zwischen den Sprachen. Gedichte in einer später erworbenen Sprache zu schreiben ist zunächst eine besondere Herausforderung, ein Wagnis. Es fehlt die Grundvertrautheit mit der Sprache, die unmittelbare Sprachbeherrschung, die sich in der frühen Kindheit einstellt. Aber gerade weil der Klang der eigenen Sprache so vertraut und von vorne rein mit Bedeutungen unauflöslich verbunden ist, kann man ihn als Muttersprachler nicht wirklich vernehmen. Ein „fremdes“ Ohr ist deshalb häufig offener für die reine Musikalität einer Sprache. Ihm entstehen, wenn es sich darauf einlässt, durch Alliterationen, Assonanzen und Paronomasien neue Beziehungen zwischen den Wörtern sowie überraschende Bedeutungsassoziationen. Darin liegt ein besonderer Reiz. Begibt man sich auf eine Erkundungsreise durch die „fremde“ Sprache, erschließt sich dann ein anderer Blick auf die Welt.
Chiodo, der Maler und Dichter zugleich ist und bereits auf Italienisch eine umfangreiche Gedichtsammlung veröffentlicht hat, unternimmt hier eine solche Erkundungsreise. Man erkennt in seinen Gedichten die Lust an den neuen Lautkombinationen, wenn er sich z. B. die Paarformel „es lacht und kracht“ zu eigen macht oder einen „Tisch“ mit einem „Fisch“ vergleicht („der Tisch […] so frisch wie ein Fisch“), was in seiner Muttersprache sich nicht so ungezwungen verbindet. Chiodo sucht an vielen Stellen die Verbindung durch den Reim. Ein Gedicht, „Schwarz-Weiß“, besteht vollständig aus Kreuzreimen mit (für die deutsche Poesie typischer) weiblicher Kadenz, denen sich als Coda ein Paarreim anschließt. Aber es geht in seinen deutschen Gedichten keineswegs nur um Sprachspiele. „Raue Flächen sind sie / die unbekannten Worte“ lauten die ersten Zeilen des poetologischen Gedichts „Der Dichter“. „Rau“ ist ein Lieblingswort von Chiodo, das in mehr als einem Gedicht vorkommt (so z. B. in „Ligurien“: „salzig ist dein raues Haar“). „Rau“ heißt es, dass man nicht einfach über die Worte unbekümmert hinweg gleiten kann, dass sie mit ihren Unebenheiten und Rissen zum Aufhalten zwingen. Erst im Prozess des Dichtens, wenn der Dichter ihren Kern erkennt, verlieren sie ihre Rauheit. „Raue Flächen sind sie nicht / die erkannten Worte“, heißt die letzte Zeile.
Die Bilder in den Gedichten entstammen überwiegend dem Bereich der Natur. Bäume, Blätter, Sonne, Wolken, Himmel sowie auch Meer, Felsen, Sand. Scheinbar wird eine zeitlose Welt evoziert. Aber es ist kein Rückzug in eine vermeintliche Idylle. Vielmehr will es als Geste des Widerstands, als Weigerung, sich dem Lauf der Welt zu beugen, ihn hin zu nehmen („lieber höre ich auf die Stimme / des Schöpfers aller Dinge / als mich unter das Joch / einer seelenlosen Weltgemeinschaft / des Geldes und des Profits widerstandslos zu werfen.“) verstanden werden. Bevorzugtes Thema ist, so wie in den italienischen Gedichten des Autors, die heimatliche Landschaft Liguriens, die einmal liebevoll salopp als „ein Land / knusprig wie die Kekse, die ich gerade esse“, ein andermal feierlicher als „das Land, wo Steine sich in Worte verwandeln“ angesprochen wird. Hier scheint Chiodo eine Brücke jenseits der Sprachgrenzen hin zur großen lyrischen Tradition Liguriens von Sbarbaro zu Montale schlagen zu wollen. Eine Brücke zwischen Vertrautem und Fremdem – dies ist vielleicht die wahre Intention der Gedichte von Alessandro Chiodo.
Giovanni di Stefano, Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Palermo. Lektor für Italienisch an der Universität Münster. Zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen und italienischen Literatur und Kultur vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts, u. a. zum Musikerroman in der deutschen Literatur (La vita come musica, Venedig 1991), sowie zu komparatistischen Themen (México como punto de fuga real o imaginario: El exilio europeo en la víspera de la Segunda Guerra Mundial, hg. mit M. Peters, München 2011) und zum italienischen Film (Italienische Filme des 20. Jahrhunderts in Einzeldarstellungen, hg. mit A. Grewe, Berlin 2015).